Kein Coaching ohne Auftrag, sonst platze ich!
„Ach, Sie fasten gerade? Wissen Sie was? Wenn Sie vielleicht einfach nur mal etwas mehr Gemüse essen, dann purzeln auch so die Pfunde, ohne dass Sie fasten müssen.“
Sich öffnen = Coaching Auftrag?
Ich öffne mich gerne. Wenn Sie meine Blogbeiträge lesen oder auch meinen Newsletter, meine Facebookeinträge, etc., dann werden Sie eines festgestellt haben: Ich rede offen über meine Gedanken und meine Pannen. Das führt dazu, dass ich immer mal wieder ungefragt Tipps bekomme.
Warum?!
Wenn ich schreibe, dass ich gerne einen Tag pro Woche fasten möchte, dann bekomme ich den Tipp doch generell mehr Gemüse zu essen. Immerhin wäre dies gesund und dann müsste ich auch nicht ständig fasten, weil sich die etwaigen figürlichen Suboptimalitäten dann von alleine regulieren würden. Generell ein guter Tipp. Mehr Gemüse.
Ach, ich vergass! Das mache ich ja schon, weil ich mich meistens von Rohkost ernähre. Das bedeutet: Gemüse, Gemüse, Gemüse. Darüber hinaus faste ich nicht wegen der Figur, sondern weil ich der Meinung bin, dass es gesund ist. Darüber darf jeder denken was er möchte, es geht hier nicht um Ernährung.
Ein Tipp ohne Aufforderung
Es geht vielmehr darum, dass manche Menschen sich immer wieder bemüßigt sehen, mir Ratschläge zu geben. Oder – damit wir das böse Wort „Rat-Schlag“ vermeiden – Tipps überreichen, die ich nie haben wollte. Ein anderes Beispiel: Ich poste und schreibe immer dann etwas, wenn mir danach ist. Ich kenne viele Strategien, um welche Uhrzeiten es am günstigsten wäre etwas bei Facebook zu posten, damit meine Nachricht nicht in den vielen anderen Nachrichten untergeht.
Natürlich möchte ich gerne, dass meine Videos häufig ansehen und geteilt werden. Keine Frage. Doch ich habe keine Lust etwas zu schreiben, dann eine Uhrzeit einzustellen, damit es am nächsten Tag zu einer ganz bestimmten Uhrzeit öffentlich gemacht wird. Für andere finde ich solche Strategien hilfreich, doch zu mir passen sie nicht. Sind nicht meins. Ich möchte spontan und chaotisch sein und bleiben. Und das Risiko, dass ich eventuell dann weniger Klicks auf meinen Videos habe, geht ich bewusst ein.
Ein viel zu enges Korsett
Solche Strategien fühlen sich für mich wie ein enges Korsett an. Ich bekomme dann keine Luft mehr und meine Kreativität schwindet und macht gähnender Langeweile Platz. Ist dies vernünftig? Vielleicht nicht. Könnte ich an mir arbeiten? Klar. Will ich das? Nein. Zumindest nicht an diesem bestimmten Punkt, weil mir meine chaotische, spontane Freiheit wichtig ist. Sehr wichtig.
Trotzdem bekam ich den Tipp, dass ich doch so einer Strategie folgen solle, damit noch mehr Leute meine Videos sehen. Wollte mir diese Person weh tun? Nein. Ganz im Gegenteil. Sie wollte mir helfen. Laut Meinung dieses Herrn seien meine Videos so gut, dass noch viel mehr Leute sie sehen sollten. Das Kompliment nehme ich gerne. Den Tipp: Nicht.
Warum ärgert mich das so?
Warum führt es häufig zu Ärger, wenn jemand ohne Coachingauftrag Tipps verteilt? Selbst wenn es mit bester Absicht geschieht? Weil Sie die Augenhöhe verlassen. Die andere Person geht davon aus, dass sie etwas besser weiß als ich. Ganz bestimmt ist dem so, doch wenn ich nicht frage, will ich von diesem Wissens-Vorsprung nichts abhaben.
Wenn ich geschrieben hätte, dass ich unter meiner Figur leide (was ich nicht tue) und ich keine Ahnung hätte, mit welcher Ernährung ich das in den Griff bekommen könnte (was nicht der Fall ist), dann wäre es ein Coachingauftrag gewesen. Es wäre eine Frage gewesen. Dann wären Tipps willkommen.
Nun sehen Sie vielleicht jemanden, bei dem Sie wirklich das Gefühl haben, dass Sie ihm in einer misslichen Lage helfen können. Dann wäre es schlau zu sagen: „Ich kenne mich im Bereich XY sehr gut aus. Falls du mal einen Tipp von mir haben möchtest, dann ruf mich an.“ Damit kommunizieren Sie klar, dass Sie einen Tipp hätten, aber die andere Person muss selbst einen Schritt auf Sie zumachen. Wenn Sie dies tut, dann ist es ein Auftrag und Sie dürfen sie/ihn mit Tipps überrollen.
„Darf ich dir jetzt, sofort, hier Feedback geben?“
Wichtig ist meines Erachtens, dass Sie der Person Zeit geben. Sagen Sie nicht, dass Sie eine Idee haben und ob Ihr Gegenüber diese jetzt sofort hören möchte. Das ist häufig zu viel Druck und die wenigsten trauen sich Nein zu sagen, selbst wenn sie Nein denken. Es ist daher schlau zu sagen, dass sie gerne anrufen, vorbei kommen oder eine E-Mail schreiben dürfen.
Bedenken Sie stets, dass Sie nur einen Bruchteil einer Person sehen. Sie kennen nicht die ganze Vorgeschichte und werden diese vielleicht auch nie erfahren. Dass ich keine Strategien mag, habe ich gerade leidvoll für mich festgestellt, als ich meine Kreativität, Leichtigkeit und Persönlichkeit schwinden sah, während ich mit einem Berater zusammen gearbeitet habe. Er ist großartig. Der Beste. Und das ist mein voller ernst. Doch diese Strategien waren nichts für mich. Ich bin darin ertrunken. Daher haben wir freundschaftlich die Zusammenarbeit beendet.
Ich weiß was, was du nicht weißt
Natürlich konnte der Mensch, der mir den Tipp mit der Strategie für mehr Klicks gab, dies nicht wissen. Natürlich nicht. Und es war nur lieb gemeint. Doch in meinen Augen ist es nicht lieb, wenn jemand mir ungefragt unterstellt, dass ich in diesem Bereich keine oder wenig Ahnung habe. Ebenso bei dem vorgeschlagenen Gemüsetag. Die Person wusste nicht, dass ich mich fast ausschließlich von Gemüse ernähre und in der Richtung keinen Tipp brauche. Trotzdem habe ich dies ungefragt bekommen.
Warum machen dies so viele? Mich eingeschlossen. Auch mir passiert es immer mal wieder, dass ich etwas sage, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Warum machen wir das? Weil es sich gut anfühlt. Wir gewinnen an Status, wenn wir jemandem helfen können. Wir fühlen uns gebraucht. Eventuell folgt noch etwas Bewunderung für das Fachwissen. Vielleicht können wir dadurch aus einer schlechten Stimmung wieder ein harmonisches Miteinander machen, indem wir das Licht am Ende eines Tunnels zeigen. Es fühlt sich einfach gut an.
Und häufig ärgern wir uns, wenn unser Gegenüber dann noch nicht einmal dankbar ist, dass sie/er ungefragt mit Tipps bombardiert wurde. Niemand muss für ungefragte Geschenke dankbar sein. Wir dürfen es, aber wir müssen es nicht. Vor allem, wenn die Tipps zu sehr von oben herab kommen (dozieren, missionieren), können Sie auf die Dankbarkeit lange warten.
Auf die Zunge beißen
Zu einem guten Gespräch gehört die Augenhöhe. Und das bedeutet, dass ich nicht denke, dass ich besser bin als mein Gegenüber oder ich mehr weiß. Dazu gehört, dass ich erst einmal sage, dass ich eine Idee habe und dass ich frage, ob ich sie äußern darf. Nicht sofort, aber dann wenn mein Gegenüber in Ruhe darüber nachgedacht hat, ob er einen Tipp von mir haben möchte.
Ich darf davon ausgehen, dass jeder seinen eigenen Weg findet. Und dass die Wege dann auch die richtigen sind. Es sind häufig nicht meine, aber das spielt keine Rolle, weil es ja auch nicht mein Leben ist.
Sie kennen bestimmt den Coaching-Grundsatz: „Du bist okay. Ich bin okay.“ Und dazu gehört, dass Sie bitte niemandem Tipps geben, der nicht darum gebeten hat. Vor allem nicht, um nur rein egoistisch den eigenen Status und somit das Selbstwertgefühl zu erhöhen.
In diesem Video erzähle ich eine Geschichte, bei der ich sogar aktiv nach einem Tipp gefragt wurde, doch trotzdem im ersten Schritt keine Antwort hatte.
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Liebe Frau Garcia,
ich stöbere unregelmäßig nach Videos und Beiträgen von Ihnen und habe diesen erst gerade entdeckt. Und möchte dazu gratulieren: ertappt!
Ich nenne es auch „Helfersyndrom“, denn es ist ja so leicht, bei anderen zu sehen, was sie anders oder besser machen könnten, und zu oft platze ich zu schnell damit heraus … das ist auch schon ein paar Mal nach hinten los gegangen, privat und beruflich …
Daher vielen Dank für die Anregung, immer erst einmal nach Erlaubnis zu fragen, ob ich meine Ideen und Anregungen auch kundtun darf – das werde ich jetzt ab sofort beherzigen!
Herzlichen Dank, Ihnen einen schönen Okotober-Ausklang und
herzliche Grüße
Sandra Wilmsmann